Als Eltern wissen wir aus allen Arten von Ratgebern, Broschüren, Elterngesprächen, Tipps aus dem Freundes- und Verwandtenkreis, dass sie früher oder später kommen. Die Wutanfälle. Meist ziehen sie mit der Trotzphase ein. Als junge Mutter war ich teilweise wirklich verzweifelt, wusste nicht, was ich machen sollte. Von daneben sitzen, aufs Kind einreden bis hin zum kompletten Ignorieren, hatte ich alles durch. Das Fräulein war grad fertig mit trotzen, da fing der Knirps schon an. Ich kroch auf dem Zahnfleisch. Glücklicherweise haben wir diese Phase hinter uns gelassen – aus erzieherischer Sicht hätte ich hier wahrscheinlich öfter ein “Setzen, Sechs!” gehört – aber ich war teilweise einfach nur froh, wenn das Kind mal Ruhe gab.
Nun war es beim Knirps aber nicht nur mit trotzen getan. Seine Wutausbrüche waren teilweise wirklich extrem. Da wurde geschlagen, getreten, gebissen, Sachen durch die Gegend geworfen – man kann sich das vorstellen wie bei einer Kneipenschlägerei, bei der die Stühle fliegen. Das ganze begann etwa mit 3 Jahren, zu dem Zeitpunkt war ich bereits allein erziehend. Wahrscheinlich war die ganze Situation nicht unschuldig. Er musste ganztags in den Kindergarten gehen, weil ich arbeitete. Spätnachmittags lief dann meist auch nicht mehr so viel, worunter ich selbst auch sehr gelitten habe, da ich eigentlich mehr Zeit bewusst mit meinen Kindern verbringen wollte. Das war so aber nicht möglich und ich habe wirklich lange gebraucht um das so für mich zu akzeptieren. Die Wutausbrüche vom Knirps gab es immer nur zu Hause. Im Kindergarten war zwar auffällig, dass er anderen Kindern gegenüber aggressiv war, Konflikte nicht mit Worten löste und andere bewusst ärgerte – aber richtige Tobsuchtsanfälle gab es dort nicht. Das “traute” er sich nur bei mir. Irgendwo las ich mal, etwas wie: “Das Kind hat so viel Vertrauen in seine Mutter, dass es eben hier dieses Verhalten zeigt. Weil das Kind weiß: egal was ich mache, meine Mama hat mich trotzdem lieb.” – das ist jetzt kein Zitat, aber der Grundgedanke zählt. Und der gab mir so viel Kraft.
Fakt war, dass der Knirps ganz viel Energie hatte, die irgendwo hin musste. Wir gingen also täglich nach dem Kindergarten noch eine große Runde (mit dem Laufrad) spazieren. Rennen, toben, nochmal richtig auspowern war ganz wichtig. Es gab viele Tage, da hatte ich gar keine Lust – aber es nützt ja nichts, das Kind braucht das, die Harmonie zu Hause braucht das. Also habe ich mich aufgerafft und die Bewegung half ihm gut. Selbstverständlich gab es immer noch Wutausbrüche, denn nur weil wir jetzt zusätzlich noch mehr Zeit draußen verbrachten, waren die Wutanfälle nicht weg – ganz so einfach war das nicht.
Ein paar Monate später, der Knirps war 4, hatten sie im Kindergarten das Thema Gefühle. Dort lernten die Kinder, wie man seine Wut so richtig raus lassen kann, ohne andere dabei zu verletzen. Ich guckte mir hier ein, zwei Ideen ab – das Zeitungsknüllen und die Wuttonne. Zeitungsknüllen – klar, das erklärt sich von selbst. Hier darf jeder, der wütend ist, sich Papier aus dem Altpapier nehmen und so viel zusammenknüllen, bis es ihm ein wenig besser geht. Die geknüllten Zeitungsbälle kann man übrigens auch prima gegen Wände werfen.
Die Wuttonne ist eine tolle Idee. Man nimmt einfach eine Tonne, einen Papierkorb oder (wie in unserem Fall) eine große Trofast Kiste und verkündet, dass dies nun die Wuttonne ist. Und wenn man dann so richtig wütend ist, steckt man seinen Kopf in die Tonne und schreit so laut man kann. Es ist so befreiend! Ehrlich! Auch ich nutze das Ding hin und wieder mal.
Wir waren darauf hin auch noch in Kur, wo ich auch noch ein paar Dinge gelernt habe. “Positives erziehen” nennt sich das. Das meiste habe ich wieder vergessen, aber was hier wirklich extrem geholfen hat, war negatives Verhalten komplett zu ignorieren und jedes mini positive Etwas, das das Kind gemacht hat, loben und dort dann Aufmerksamkeit schenken. Fängt man damit an, denkt man sich “Oh Gott! Niemals halte ich das aus!” – aber!!! es lohnt. Irgendwann kam beim Knirps an “Aha, wenn ich Sachen kaputt mache/schlage/schreie/ärgere, reagiert Mama ja gar nicht!”. Natürlich verschlimmert sichdas im ersten Moment. Das ist ja völlig logisch. Mir (oder besser: uns) hat diese Methode sehr geholfen.
Zusätzlich zur Wuttonne führten der Knirps und ich noch einen Verstärkerplan ein. Wichtig hierbei ist, dass die Ziele positiv formuliert werden. Das ist gar nicht so leicht.
“Ich darf meine Mama nicht ärgern” besser: “Ich bin freundlich zu meiner Mama”
“Ich darf meine Schwester nicht schlagen” besser: “Ich versuche Streit mit Worten zu lösen.”
“Ich darf kein Theater morgens machen” besser: “das Aufstehen klappt gut”
Das sind natürlich jetzt nur Beispiele (und teilweise auch nicht aus “unserem” Plan) – ich bin ja auch keine Sozialpädagogin, denn das geht sicher noch besser. Ich wollte das Prinzip aber mal verdeutlichen. Die gesammelten Lachgesichter können dann eingetauscht werden. Kleine Belohnung, Fernsehzeit, gemeinsame Extra-Zeit, Süßigkeiten oder oder oder. Da muss man halt selbst schauen, wie man das für sich am besten umsetzt. Unser Plan hing in der Küche. Wichtig ist aber, dass es kein “System” auf Dauer ist, sondern über einen absehbaren Zeitraum um gewisse Ziele zu erreichen, Abläufe/Verhalten zu verinnerlichen und es dann als selbstverständlich angesehen wird.
Mittlerweile ist der Knirps 6, geht seit letzter Woche in die Schule und ist momentan ein sehr ausgeglichenes Kerlchen. Sicher trägt seine große Leidenschaft, das Fußballspielen, dazu bei. Er hat aber auch gelernt Konflikte mit Worten zu lösen und sich Hilfe von Erwachsenen zu holen, wenn er nicht weiter weiß. Er ist geduldig, wissbegierig, aufmerksam und kann sich unheimlich lange konzentrieren. Natürlich ist er bei anderen Dingen extrem ungeduldig, ein “Zappelphilipp”, laut, trotzig und bestimmend. Er kann wüten wie ein ganz großer, das darf und soll er auch, denn es gehört dazu – aber er kennt mittlerweile Wege, wie er aus der Wut raus kommt – und das ist ein riesiger Schritt nach vorne.
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